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Festnahme im Supermarkt?

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Nach meinem ersten Artikel zur “Taschendurchsuchung im Supermarkt“, der nicht zuletzt dank einer Lawblog-Verlinkung für erhebliche Beachtung und Feedback gesorgt hat, gibt es vor allem ein Feedback, das mich besonders stutzig macht und hier aufgegriffen werden soll. Es geht um die durch den Artikel aufgeworfene Frage:

Ist es nicht ein wenig realitätsfremd, dass die Kassenbedienung jemanden nicht bei einem Verdacht festhalten darf? (Ich hatte den §127 I StPO angesprochen)

Ich für meinen Teil kann das mit einer Gegenfrage beantworten, die aber vielen wohl nicht ausreicht: Ist es wirklich realistisch, dass jemand einen anderen ohne Begründung und konkreten Anlaß (nur weil dieser auf seinem Persönlichkeitsrecht beharrt) gegen dessen Willen festhalten darf und nicht wegen Freiheitsberaubung (§239 StGB) strafbar sein soll?

Da diese Vorstellung offenbar für viele nicht schlimm ist, hier noch die juristischen Hintergründe, warum man sich nicht willkürlich auf das Festnahmerecht des §127 I StPO berufen darf.

Zuerst einmal ein Zitat aus dem §239 StGB damit man weiss, was eine Freiheitsberaubung eigentlich ist:

Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird [...] bestraft.

An dem Punkt sollte klar sein: Der Kassierer (oder die Kassiererin), der jemanden festhält weil er glaubt, dieser hätte gestohlen, begeht (tatbestandsmässig) eine Freiheitsberaubung. Eine Ausnahme im §239 StGB ist nicht vorgesehen, Diskussionsspielraum gibt es da nicht.

Aber: So einfach ist es natürlich nicht. Man kann zwar eine Norm tatbestandlich umsetzen mit seinem Verhalten, aber dennoch darf das Verhalten erlaubt sein – Laien kennen hier oft die Notwehr, die als Rechtfertigungsgrund ein tatbestandliches Verhalten rechtfertigen kann, mithin die Handlung legitimieren.

Die Frage ist nun: Gibt es Rechtfertigungsgründe, auf die sich der Kassierer berufen darf? Naheliegend ist der §127 I StPO, das auch in der Bevölkerung bekannte Festnahmerecht. Dieses lautet:

Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen.

Ich bin mir sicher, die meisten Laien werden nun Nicken und glauben, dass damit der Kassierer rechtfertigt ist. Falsch.

Das Problem ist die “frische Tat”, die der §127 I StPO voraussetzt: Es ist nicht klar, ob damit eine tatsächliche Tat gemeint ist oder ein Tatverdacht ausreichen soll. Diese Frage ist auch keineswegs geklärt, vielmehr herrscht ein heftiger Streit, den jeder Jura-Student mittleren Semester aus dem Stehgreif runterleiern können sollte: Es gibt gute Gründe für und gute Gründe dagegen, einen Tatverdacht ausreichen zu lassen.

Das in der Literatur besonders oft zitierte und stichhaltige Argument ist die Tatsache, dass man sich gegen das Festnahmerecht zum Zeitpunkt der Durchführung nicht wehren kann und nicht immer weiss, worum es eigentlich geht. Derjenige, der leichtfertig ein Festnahmerecht annimmt, könnte zudem auf Grund eines Irrtums (für Juristen: Erlaubnistatbestandsirrtum) doch noch rechtfertigt sein, sofern er den Irrtum nicht vermeiden konnte. Wer also gewissenhaft vorgeht und dennoch fälschlicherweise das Festnahmerecht anwendet, muss sich keine Sorgen machen. Das Ergebnis ist Interessengerech und führt dazu, dass im Alltag nicht jeder jederzeit Angst haben muss, von irgendeinem Hilfs-Sherriff “festgenommen” zu werden.

Dennoch gibt es Stimmen, die es anders sehen. Dabei spielen vor allem “lebensnahe” Aspekte eine Rolle. Da eine dieser Stimmen der BGH ist, ist diese Ansicht auch sehr Praxisrelevant – der BGH hat zum §127 I StPO festgestellt (VI ZR 151/78):

Daher ist eine Festnahme oder Verfolgung aufgrund dieser Norm gerechtfertigt, wenn die erkennbaren äußeren Umstände einen dringenden Tatverdacht vermitteln [...] (offen gelassen in BGH 4 StR 558/99)

Freilich wird auch das nicht wirklich weiter helfen, da man sich fragen muss, was ein dringender Tatverdacht sein soll. Hier hilt nun das OLG Hamm (2 Ss 1526/97) weiter, dass sich einige Jahre später mit der Frage beschäftigt hat und die Rechtsprechung des BGH konkretisierte:

Für das Merkmal “auf frischer Tat betroffen” in § 127 I StPO reicht es aus, wenn die Zusammenschau aller erkennbaren äußeren Umstände im Tatzeitpunkt nach der Lebenserfahrung im Urteil des Festnehmenden ohne vernünftige Zweifel den Schluß auf eine rechtswidrige Tat zuläßt.

Und nun die Frage: Wenn jemand mit einer Tasche oder Einkaufstüte in einem Geschäft unterwegs ist und von seinem Recht auf Privatsphäre Gebrauch macht um dem Kassierer den neugierigen Blick in diese Tasche zu verwehren: Muss man nach dem OLG Hamm dann zwingend davon ausgehen, dass dieser Kunde etwas gestohlen hat? Die Antwort kann nur “nein” lauten.

Vielmehr muss man im konkreten Einzelfall konkrete Gründe – über das Verwehren des Blicks hinaus – vorbringen können, die einen Tatverdacht ohne vernünftige Zweifel, geradezu zwingend, nahe legen.

Und nun kommt das, was die Sache schwierig macht: Das wirkliche Leben. Bis hierhin klingt alles ganz einfach. Und der ein oder andere wird eine Position beziehen mit den Worten “ist doch klar”. Doch im konkreten Fall, wenn der Kassierer die Entscheidung trifft jemanden festzuhalten, muss er sich im Klaren sein, tatbestandlich eine Straftat zu begehen. Und die obigen Zeilen machen vor allem eines deutlich: Sicher ist in dem Bereich nichts. Wenn der Betroffene Strafanzeige stellt – und das wird er als zu Unrecht festgehaltener – ist der Kassierer “dran”. Und dann hat er entweder einen Richter, der der ersten Meinung folgt (auf Grund der BGH-Rechtsprechung unwahrscheinlich) und es wird geprüft, ob er den Irrtum vermeinden konnte. Also eine Wertungsfrage.

Oder der Richter wird der zweiten Meinung folgen (wahrscheinlicher). Dann wird er prüfen, ob es konkrete über vernünftige Zweifel erhabene Gründe gibt, die ein Festnahmerecht eröffnen könnten. Wieder eine Wertungsfrage.

Der Kassierer also, der also “Festnimmt” begibt sich in die Hände eines Richters, der nach eigenem Gusto prüfen wird wie gewissenhaft da gehandelt wurde. Und zur Erinnerung: Wenn es soweit kommt, wurde die “Festnahme” ohne ausreichenden Grund durchgeführt, ein Unschuldiger, der nur sein Recht durchgesetzt hat, wurde gegen seinen Willen festgehalten. Der Kassierer, der sich mit diesem Hintergrund in diese Lage bringen will, sollte wenigstens gut wissen was er da tut – und genau das habe ich im ersten Artikel auch geschrieben.

Die besonders pfiffigen Leser werden natürlich auch an den §229 BGB denken: Ein guter Gedanke, der auch nicht von der Hand zu weisen ist.
Das OLG Düsseldorf (2 Ss 223/91) sah es zum Beispiel genauso. Alelrdings wird man beim §229 BGB mindestens die gleichen Voraussetzungen an den “Konkreten Tatverdacht” erheben müssen, wie beim §127 I StPO. Dies nicht zuletzt,weil der §229 BGB einen Anspruch ausdrücklich voraussetzt und vom “Verpflichteten” spricht. Ohne die Diskussion hier zu vertiefen bleibt es also mindestens beim oben gesagten.

Wer nun meinen ersten Artikel zur Taschenkontrolle noch einmal liest bzw. sich erinnert, der wird jetzt auch feststellen, dass ich nicht geschrieben habe, dass das Festnahmerecht schlechthin ausgeschlossen ist. Mir das zu unterstellen wäre ein Fehler, vielmehr habe ich darauf hingewiesen, dass ein “einfacher Verdacht” nicht ausreichen wird – und der Kassenbedienstete genau wissen muss, worauf er sich da einlässt. Zugegeben, ich habe mich um die detaillierte Dastellung gedrückt – ich hoffe, nach diesem Artikel ist das Grundsätzliche rund um das Thema “Festnahme im Supermarkt” zumindest angerissen.

Und noch einmal zur Sicherheit: Der Volksmund sagt mit Fug und Recht “Zwei Juristen, Drei Meinungen”. Und es wird sicherlich Juristen geben, die das wieder anders darstellen – was ihr gutes Recht ist. Doch gerade diese Unsicherheit ist es ja, mit der ich Argumentiere wenn ich davor warne, sehenden Auges den Tatbestand einer Norm des Strafgesetzbuches zu verwirklichen.

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